Eine Heimsuchung bedeutet im heutigen Sprachgebrauch etwas Negatives.
Man wird von unerfreulichen Ereignissen heimgesucht, von Menschen die man nicht mag. Aber früher war eine Heimsuchung einfach ein Besuch bei jemand zuhause. Maria besucht ihre Verwandte Elisabeth, Frau des Priesters Zacharias und wesentlich älter als sie. Aber beide sind sie schwanger! Elisabeth schon im 6. Monat, Maria hat es gerade erst erfahren. Sie ist total aufgewühlt, braucht jetzt jemand, mit dem sie offen reden kann. Denn Maria ist noch nicht verheiratet. Und erwartet ein Kind vom Heiligen Geist! Was wird ihr Verlobter Joseph dazu sagen, was die Nachbarn?
Betrachten Sie einmal die Heimsuchungsgruppe im Langhaus der Kirche von der 4. oder 5. Bankreihe links aus in aller Ruhe. Wie erregt, wie hastig Maria mit wehendem Umhang der Älteren entgegenstrebt, um ihr das wunderbare und doch beängstigende Geheimnis an zu vertrauen.
Elisabeth, eine ältere Frau mit schmalem, lebensklugen Gesicht, weiß bereits Bescheid und geht bewegt mit ausgestreckten Händen auf die Jüngere mit den weichen, kindlichen Zügen zu. Trotz der Freude über die späte Mutterschaft hat auch sie ihre Probleme, ist eigentlich viel zu alt für ein Kind, eine “alte Erstgebärende” wie man heute sagt. Aber sie findet die richtigen Worte für Maria, Worte die sie aufbauen:
“Dich hat Gott gesegnet, mehr als alle anderen Frauen, dich und dein Kind”, begrüßt sie die junge Frau, “womit habe ich verdient, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Als ich deine Stimme hörte, hüpfte das Kind in mir vor Freude”. (Lukas 1, 42-44) Voll Herzlichkeit und Anteilnahme ist diese Begegnung.
“In den Müttern begegnen sich auch die Kinder: Jesus und Johannes” sagte Pfrin. Barbara Hauck bei ihrer Antrittspredigt in St. Jakob im Jahr 2003, in der sie die Heimsuchungsgruppe als “das liebste und eindrucksvollste unter allem Eindrucksvollen, was in dieser Kirche zu entdecken ist”, bezeichnete.
Ein Meister aus der Werkstatt des Veit Stoß hat die Gruppe um 1522/30 für den Welseraltar in der Frauenkirche aus Lindenholz geschnitzt. Sie kam im 19.Jhd. nach St. Jakob, hat – wie viele Kunstwerke damals – zwei unpassende Anstriche bekommen, die 1933 im German. Nationalmuseum entfernt wurden.
Elisabeth trägt jetzt wieder ein rotes, schwarz gestreiftes Kleid mit goldenem Brustteil und goldenem Saum und einen silbernen Mantel, Maria ist mit einem blauen, faltigen Gewand und einem goldenen, rot gefütterten Mantel bekleidet. Eine Kleidung, die wohl kaum der damaligen Realität entsprach, aber dem Künstler für die Mutter des Heilands und die Mutter Johannes des Täufers gerade angemessen erschien.